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Aus Bode-Lina wird Lina Bögli

Mit 17 arbeitete Lina Bögli für drei Jahre als Haus- und Kindermädchen in einer wohlhabenden Schweizer Familie in Neapel. Dann tritt sie eine Stelle als Erzieherin in einer polnischen Adelsfamilie an. Es verändert ihr Leben.

Eine gräfliche Familie von Sczaniecki in österreichisch Polen suchte eine «Bonne», und da wurde sie unter etwa hundert Bewerberinnen ausgewählt und zwar aus dem Grunde, weil einst zur Zeit polnischer Aufstände ein von Sczaniecki in der Schweiz in einer Familie Bögli Aufnahme gefunden hatte. Damit trat die grosse Wende in Lina Böglis Leben ein, nicht finanziell, denn ihr Gehalt blieb monatlich 25 Franken, auch nicht beruflich, denn sie blieb vorläufig eine «Bonne» – ein Kindermädchen –, aber sozial nahm sie eine ganz andere Stellung in dem vornehmen, polnischen Hause ein, als ihr bis dahin in den Schweizerfamilien zugestanden worden war. Dort fand sie ihre geistige Heimat und in Herrn und Frau von Sczaniecki Menschen, die Linas Wesen verstanden und sich über ihren Lerneifer freuten. Abends, wenn die Kinder zu Bett gebracht waren, und alles still wurde draussen und im Schloss, da ging für Lina eine ganz neue Welt auf – die Welt des Geistes.

Mit Herrn und Frau Sczaniecki durfte sie im grossen Salon sitzen, mit ihrer Herrin an schönen Handarbeiten nähen und sticken, konnte von bedeutenden Menschen erzählen hören, Kunstwerke kennenlernen und damit ihren Horizont erweitern; denn Herr von Sczaniecki las ihnen vor, entweder deutsch oder französisch: Memoiren, geschichtliche Werke, Dramen , Reiseschilderungen, wie die von Livingstone und Stanley durch Afrika. Lina durfte Fragen stellen, soviel sie nur wollte. Damit wurde ihr Drang nach Wissen genährt. Dort, auf dem Landgut der von Sczanieckis, in der Waldeinsamkeit von Kwiatonivice bei Krakau, war sie zum ersten Mal in ihrem Leben glücklich, wie sie selber sagte.

«Wäre es möglich, mit 28 Jahren noch Lehrerin zu werden? Könnte ich mir mit meinen Ersparnissen eine Studienzeit leisten, eine höhere Schule besuchen und ein Diplom erlangen?», fragte Lina Bögli eines Abends ihre Gönner. Als sie diese Pläne mit ihnen besprach, sagten diese: «Ja warum nicht? Erkundigen Sie sich bei ihren Bekannten in der Schweiz, welche höheren Schulen sie Ihnen empfehlen würden.» Nun kam Lina die gute Idee, Amélie Moser in Herzogenbuchsee, die ausserordentlich weitsichtige Frau und nachmaligen Gründerin des ersten Gemeindehauses der Schweiz im Kreuz, um Rat anzufragen. Diese riet ihr zur «Ecole supérieure» in Neuenburg, wo vorzügliche Lehrer den Unterricht erteilten.

Nach acht Jahren in Polen hatte Lina Bögli genug Geld gespart, um in der Schweiz nach zweijährigem Studium an der «Ecole supérieure» in Neuenburg das Lehrerinnendiplom mit Bravour zu bestehen. Ein England-Aufenthalt vervollständigt ihre Ausbildung. Die Zertifikate sollten ihr während ihrer bevorstehenden ersten Weltreise sehr zustatten kommen.

Textquelle: Elisa Strub: Lina Bögli (1858-1941) – Ein reiches Frauenleben.
Elisa Strub (1879-1960) war eine Sekundarlehrerin und Schriftstellerin aus Interlaken. Ihr Text ist 1949 als Heft Nr. 1 der «Schriftenreihe für junge Mädchen» im Schweizer Spiegel Verlag erschienen.

Böglis Tagebücher

Lina Bögli hat nachweislich von 1883 bis 1940 Tagebuch geführt. Ihre beiden nach den Reisen in Polen verfassten Bücher «Vorwärts» und «Immer vorwärts» basieren auf diesen Tagebuch-Eintragungen, die sie im Buch in Briefen verarbeitet. Bis auf wenige Bände sind sie – handgeschrieben, teils in Deutsch, teils in Französisch, teils in alter, teils in neuer Schrift – erhalten.
Ein paar Jahrgänge wurden u. a. von Rudolf Flückiger, Lehrer auf der Oschwand, und Martin Kohler, Kurator der Bögli-Ausstellung in Friedrichshafen, ganz oder teilweise transkribiert und redigiert. Aktuell hat Margret Nyfeler-Bögli aus Gondiswil das Tagebuch ihr Urgrosstante aus dem Jahr 1915 vollständig abgeschrieben. Sie will so auch die Jahrgänge 1916 bis 1919 bearbeiten.