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Die Träume der Bode-Lina

Die erste Schweizer Reiseschriftstellerin stammt aus dem Weiler Boden/Oschwand. Lina Bögli wurde hier 1858 als jüngstes Kind der kinderreichen Kleinbauernfamilie von Ulrich Bögli auf den Namen Carolina getauft.

Gegenüber dem Wirtshaus Oschwand steht das Schulhaus, das um 1870 zwei Schulzimmer, eines für die Unterschule und das andere für die Oberschule enthält. In diesem kleinen Schulhaus verlebte Lina Bögli in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ihre Schulzeit. Die Schultage verliefen in ruhigem Gleichmass, nur unterbrochen von den Schulferien, die aber für die meisten dieser Landkinder Arbeitstage auf dem Feld bedeuteten.

Ein Ereignis jedoch hob sich immer besonders hervor, das war die Schulinspektion. Die Grossen und die Kleinen rüsteten sich jeweilen darauf hin. Die Mädchen erschienen mit festgewundenen Zöpfchen; jedes widerstrebende Härlein war mit Wasser zurückgekämmt, die Schürzchen waren frisch und sauber. Die Buben schritten sehr gesittet auf der Strasse einher, schrien nicht, rauften nicht, plagten die Mädchen nicht, taten, als ob sie kein Wässerlein trüben könnten; denn so eine Schulinspektion jener Zeit erschien den Beteiligten wie eine Art jüngsten Gerichts, an dem die Schafe von den Böcken, die Gescheiten von den Dummen, die Fleissigen von den Faulen geschieden wurden. Da nahm man sich schon auf dem Schulweg zusammen, erst recht aber in der Schule vor dem gefürchteten Manne selber, dem allgewaltigen und unfehlbaren Inspektor. Einer dieser Inspektionstage ist besonders in der Erinnerung von Lina Bögli haften geblieben. Der Gestrenge kam von der untern in die obere Klasse und stellte Frage um Frage. Furcht und ein heilloser Respekt aber lähmten Glieder und Zungen der Kinder; Auch die Besten und Wägsten unter den Schülern wagten nicht, die Hand aufzuhalten und zu antworten. Nur ein schmächtiges Mädchen auf der hintersten Bank, «d’s Bode Lina», hob immer wieder seinen Finger auf und beantwortete klar und richtig die vielerlei Fragen des Inspektors. Ja, es kam sogar wie eine Art Schlachtbegeisterung über das Kind. Es zeichnete sich in seiner Furchtlosigkeit so vor allen andern aus, dass der Inspektor es von seinem bescheidenen Plätzchen zu hinterst herausholte und zu vorderst an die Spitze der Klasse hinsetzte. Der Lehrer schien darüber gar nicht erbaut zu sein und schüttelte hinter dem Rücken des Gewaltigen den Kopf. «D’s Bode Lina kann ja gar nicht rechnen, es ist stockdumm im Rechnen».

Dieses «Bode Lina», das damals den Triumphtag seiner Schulzeit erlebte und am nächsten Tae selber wieder an seinen Platz in der hintersten Reihe zurückkehrte, wohnte mit seinem Vater auf einem kleinen Hof «dr Boden» an einem Nebenweg der Landstrasse. Nach dem Hof und nicht nach dem Familiennamen Bögli nannte man das Kind überall «d’ Bode Lina.» Es war ein einsames Kind, das jüngste seiner Familie. Drei seiner Geschwister, Buben, stammten aus erster Ehe des Vaters, hatten das Vaterhaus schon verlassen, als Lina zur Welt kam. Obwohl Lina ihren Vater liebte und bewunderte, litt sie unter ihrer Einsamkeit ohne gleichaltrige Geschwister. Viel mütterliche Liebe schient sie nie erfahren zu haben; wohl deswegen hat sie in ihrem späteren Leben nie von der Mutter, wohl aber vom Vater gesprochen, mit dem sie stets geistig verbunden blieb. Alles, was in ihrem Sinne und Denken vor sich ging, erzählte Lina dem Vater. Auch von ihren nächtlichen Träumen wusste sie ihm viel zu berichten. In den Träumen lebte das einfache Kind der Buchsiberge in den höchsten Kreisen, sass mit Kaisern und Königen zu Tisch und verkehrte mit ihnen wie mit ihresgleichen.

Als die Mutter starb – Lina war 12 Jahre alt – wurde sie aus der Schule genommen und, um den Haushalt des Vaters zu entlasten, in ein Dorf des Berner Juras geschickt, um Französisch zu lernen. Sie hatte in der Familie, die sie aufnahm, die Kinder zu hüten. Daneben sollte sie die Dorfschule besuchen; aber höchst selten wurde sie zur Schule geschickt, weil man sie zu Hause nötig hatte. Als das Jahr im Jura um war, kehrte sie nach Hause und ins Schulhaus Oschwand zurück. Dort liess man sie, da sie das Jahrespensum nicht durchgenommen hatte, einfach sitzen.

Textquelle: Elisa Strub: Lina Bögli (1858-1941) – Ein reiches Frauenleben.
Elisa Strub (1879-1960) war eine Sekundarlehrerin und Schriftstellerin aus Interlaken. Ihr Text ist 1949 als Heft Nr. 1 der «Schriftenreihe für junge Mädchen» im Schweizer Spiegel Verlag erschienen.

Amélie Moser (1839-1925)

Amélie Moser (1839-1925) wurde als drittes Kind von Samuel Friedrich Moser und seiner Frau Amalia Gugelmann 1939 in der «Scheidegg» Herzogenbuchsee geboren. Mit fünfzehn geht das gescheite, aber ungewöhnlich verschlossene Mädchen ins Welschland, lernt neben Englisch nun auch noch Französisch. Zurück in Herzogenbuchsee wird sie als «gute Partie« heftig umworben, weist aber alle Freier ab. Mit 22 will sie Erzieherin werden. In diese Zeit fällt auch ein Briefwechsel mit dem drei Jahre älteren Cousin Albert, der letztlich erfolgreich um Amélie wirbt. Gleich nach ihrer Heirat fahren die beiden im Februar 1868 nach Batavia (heute Jakarta). Das Glück scheint gross, als im Dezember Tochter Amy geboren wird. Dann die Katastrophe: die Eltern erkranken an einer der vielen Tropenkrankheiten. Albert erliegt ihr im März. Schon im April fährt die immer noch kranke Witwe Amélie mit ihrem Baby zurück in die Schweiz. Sie zieht ins Moserhaus an der Bernstrasse, das heute die Gemeindebibliothek Herzogenbuchsee beherbergt.

Die grosse, fast immer schwarz gekleidete und zeitlebens in Folge des Java-Jahres kränkliche Frau, widmet sich fortan der Erziehung von Amy und ganz allgemein dem Dorf, vor allem in sozialer und kultureller Hinsicht. Sie ist die zentrale Figur des 1870 gegründeten Frauenvereins, beginnt fast im gleichen Jahr mit diversen und fast immer erfolgreichen Projekten und finanziert dem Frauenverein 1890/91 u.a. das «Kreuz». Sie bekämpft damit nicht nur die mangelnde Bildung der (Arbeiter-)Frauen, sondern auch den Suff deren Männer und mit der Eröffnung des Volksbades im «Kreuz» auch die mangelnde Hygiene der ärmeren Haushalte. Natürlich ist sie treibende Kraft des «Kreuz»-Anbaues von 1914/15. Lina Bögli beschreibt die Umbauarbeiten und das spätere Leben im «Kreuz» als Mieterin eines Zimmers in den Tagebüchern. Amélie Moser präsidierte den Frauenverein bis zu ihrem Tod 1925. Quelle: Kulturland Herzogenbuchsee

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